Die mangelnde Distanz Marburgs Konservativer zur extremen Rechten
Studentische Brauchtumspflege und die Nähe zwischen Konservativen und der extremen Rechten
Mitte Mai 2020 flossen bei der Burschenschaft Alemannia Marburg in der Oberhessischen Presse öffentlich die Tränen: „Studenten in Marburg genervt von Farbattacken“ war die Überschrift eines von Björn Wisker verfassten Artikels. Kritische Nachfragen waren Fehlanzeige, wodurch sie sich als vorbildliche Demokraten darstellen konnten und ihre eigene Historie, sowie ihr aktuelles Wirken nicht näher öffentlich thematisiert wurde. Die CDU Marburg sprang auf diesen Zug gleich mit auf und stellte sich mal wieder schützend vor die Burschenschaften.
„Ziel dieser Angriffe sind, wie am Beispiel der Alemannia gut zu erkennen ist, Burschenschaften und Studentenverbindungen aller Couleur und Gesinnung. Sie richten sich damit gegen studentisches Brauchtum und studentische Traditionen im Allgemeinen unter dem Vorwand des Kampfes gegen rechts.“ (Jens Seipp in der Pressemitteilung vom 18. Mai 2020 der CDU Marburg)
In diesem Artikel beschäftigen wir uns damit, wie sich die Übergänge von rechts-konservativ zu rechtsradikal in einem Milieu von Burschenschaften und anderen Studierendenverbindungen sowie der CDU fließend gestalten. Wir beziehen uns dabei auf Beispiele mit Bezug zu Marburg.
„Im Wintersemester 1949/50 wurde die Deutsche Burschenschaft, unter starkem Mitwirken der Alemannia, in Marburg wiedergegründet“ heißt es im eigenen Wikipedia-Artikel der Marburger Burschenschaft Alemannia. Und auch wenn sie aus der Deutschen Burschenschaft (DB) ausgetreten sind, organisieren sie sich noch immer im Marburger Waffenring gemeinsam mit Neonazis. Ebenfalls fechten sie Partien mit den Naziburschenschaften der DB und empfingen auch Nicolas Krömer, zu dieser Zeit Mitglied der Germania und der Identitären, auf ihrem Haus. Der Waffenring, in dem das Fechten organisiert wird, ist eine Institution der „studentischen Tradition“, wie die CDU sagen würde. Dort werden Neonazis nicht nur toleriert, sondern sind elementarer Bestandteil der Organisation. Im Marburger Waffenring sind folgende Studentenverbindungen vertreten:
- Burschenschaft Arminia (Neue Deutsche Burschenschaft)
- Landsmannschaft Chattia (Coburger Convent)
- Landsmannschaft Hasso-Guestfalia (Coburger Convent)
- Landsmannschaft Nibelungia (Coburger Convent)
- Turnerschaft Schaumburgia (Coburger Convent)
- Landsmannschaft Hasso-Borussia (Coburger Convent)
- Burschenschaft Germania (Deutsche Burschenschaft)
- Burschenschaft Rheinfranken (Deutsche Burschenschaft)
- Burschenschaft Normannia Leipzig (Deutsche Burschenschaft)
- Burschenschaft Alemannia
- Burschenschaft Teutonia-Germania
- Turnerschaft Philippina-Saxonia
All diesen Verbindungen ist gemein, dass sie Männerbünde sind sowie ein elitäres Selbstverständnis haben. In der Konsequenz bedeutet das auch, dass nur Männer für sie zur Elite gehören. Durch Rituale wie Fechten werden unter anderem Studentenverbindungen zu Charakterschulen, die autoritäre Persönlichkeiten formen. Für eine ausführlichere und allgemeine Kritik an Studierendenverbindungen empfehlen wir euch den Reader „Verbindungen Kappen“ des Asta Marburg.
Bei einem Blick auf den Marburger Waffenring wird offensichtlich, wo die Distanzierungen der Marburger Studentenverbindungslandschaft zu Naziburschenschaften der DB ihre Grenzen haben. So können Germanen, Rheinfranken und Normannen Teil des Marburger Waffenrings sein und dürfen an der studentischen Brauchtumspflege teilnehmen. Auch wenn in der Vergangenheit vereinzelt Verbindungen nicht gegen die drei DB-Naziburschenschaften fechten wollten, trainierten sie trotzdem gemeinsam an sogenannten Pauktagen des Waffenrings und sehen kein Problem in der gemeinsamen Organisation in derselbigen. Obwohl einzelne Studentenverbindungen immer wieder aus unterschiedlichen Gründen zeitweise im Streit liegen und keine gemeinsamen Partien fechten, organisieren sie sich trotzdem zusammen mit Naziburschen im Marburger Waffenring.
Daran änderten auch extrem rechte Aktivitäten der Naziburschenschaften Germania, Rheinfranken und Normannia Leipzig nichts, genauso wenig wie die politisch motivierte Gewalt, die von diesen immer wieder gegen alle, die nicht in ihr Weltbild passen, ausgeübt wird. Die Landsmannschaft Chattia (Coburger Convent) ermöglichte sogar z.B. 2018 bei der „Jung Europa“-Veranstaltung der Naziburschenschaft Germania durch ihren Hintereingang den Zugang zum Veranstaltungsort.
Der Marburger Waffenring ist ein Zusammenschluss von Rechtskonservativen bis extrem Rechten, die sich mit dem Zweck ihr sexistisches studentisches Brauchtum zu praktizieren teilweise offen positiv auf den Nationalsozialismus beziehen. Im Marburger Waffenring-Treffen sitzen neben den Naziburschen der DB auch Kooperierte Nachwuchspolitiker der Jungen Union und des RCDS Marburg, ihrer Studierenden-Organisation.
Arminia Marburg
Maximilian Noe ist Burschenschaftler der Arminia Marburg (fakultativ schlagend) und Student der Rechtswissenschaften. Der stellvertretende Vorsitzende der Jungen Union Marburg ist Anhänger des CDU Rechtsauslegers Werte Union und auch für den RCDS aktiv. Noe tritt bei der Kommunalwahl für die CDU im Ortsteil Campusviertel und für die stadtverordnetenversammlung an.
Simon Büssing
Simon Büssing war 2015 Aktivensprecher der Arminia, 2017 Gründunsmitglied und Sprecher der Jungen Alternative Marburg-Biedenkopf. Im April 2017 war er beim Landeskongress der Jungen Alternative Hessen anwesend. Daraufhin wurde er zwar offiziell von der Arminia ausgeschlossen, 2018 durfte er aber noch mit ihnen auf dem Frankfurter Römer Bier trinken.
Dirk Bamberger
Besonders brisant ist die Nähe von mindestens Teilen der Arminia zur AfD/JA vor dem Hintergrund, das Dirk Bamberger, MdL und Oberbürgermeisterkandidat der CDU für die Kommunalwahl, Mitglied im Freundeskreis der Arminia ist. Am 22.11.2020 nahm Bamberger augenscheinlich chagiert an dem Totengedenken der Verbindung teil. Band und Mütze sind Kernelemente verbindungsstudentischer Symbolik, nur Angehörige der Burschenschaft dürfen sie tragen. Bei dem Totengedenken haben Bamberger und die Arminia gegen die damals geltenden Corona regeln verstoßen. Zwar ist die Arminia nur ein Haushalt, laut Corona-Verordnung vom 2.November dürfen sich zwei Haushalte nur bis zu einer Personenanzahl von 10 Personen in der Öffentlichkeit treffen.
2018 gratulierte die Burschenschaft ihrem „Mitglied im Freundeskreis“ öffentlicht zu seinem Einzug in den Landtag. Bamberger ist also eng einer Burschenschaft verbunden, mit der er als Oberbürgermeisterkandidat nicht nur gemeinsam Coronaregeln missachtet, sondern die auch mit Naziburschen im Waffenring organisiert ist und einen bekannten JA’ler ausbildet und mit ihm feiert. Ende September scheute sich Bamberger zudem nicht, gemeinsam mit der AfD in Stadtallendorf für die A49 zu demonstrieren.
Turnerschaft Schaumburgia Marburg
Tim Waldhans ist Mitglied der Turnerschaft Schaumburgia Marburg (pflichtschlagend). Er war ebenfalls für die Junge Union Marburg aktiv.
Nicolas Keil ist Mitglied der Turnerschaft Schaumburgia Marburg (pflichtschlagend). Auch er war für die Junge Union Marburg und RCDS Marburg aktiv.
Alemania Marburg
Auch aus der „Charakterschule“ der Marburger Burschenschaft Alemannia stammt Personal der extrem rechten Partei AfD. Aaron Kunkel, der im Sommersemester 2015 Sprecher der Marburger Burschenschaft Alemannia war, arbeitet inzwischen für die hessische AfD im Landtag.
Felix Ludwig ist Bursche der Alemannia Marburg (fakultativ schlagend) und im RCDS Marburg aktiv.
Der RCDS verurteilt z.B. das Veröffentlichen von Namen der Mitgliedern der Identitären wie Nicolas Krömer und Francisco Kotteck (Germania Marburg) im Oktober 2018. Dabei vergessen sie gerne, dass die zumindest partiellen Distanzierungen mancher Studentenverbindungen und der öffentliche Druck der Stadtgesellschaft nicht vom Himmel gefallen sind und auch sicher nicht Ergebnis ihrer eigenen politischen Arbeit waren. Dies ist Jahrzehnten antifaschistischer Arbeit und Recherche zu verdanken. Auch ohne Marktfrühschoppen treffen sich rechtskonservative bis extrem rechte Studentenverbinder trotzdem auf ihren Häusern, wie das Beispiel von Nicolas Krömer und der Alemannia aufzeigt. Wie mangelhaft ihre Distanzierungen sind zeigt der Marburger Waffenring, wo mit Naziburschen noch immer zusammen gearbeitet wird.
Wie Marburgs Konservative auf die extreme Rechte schielen
Bei einem Blick auf die Verknüpfungen zwischen Studentenverbindungen, Junge Union und RCDS fallen neben dem Marburger Waffenring auch Argumentationen der Jungen Union Marburg auf. So argumentiert Phillip Knaack, Mitglied der Studentenverbindung ATV Marburg und Stadtvorsitzender der Jungen Union, in einer Pressemitteilung zur Wahl von Thommas Kemmerich (FDP) zum Thüringer Ministerpräsidenten im Februar 2020 in einer gemeinsamen Pressemitteilung zusammen mit den Jungen Liberalen wie folgt: „Im Falle der Wahl in Thüringen muss man jedoch sagen, dass die CDU nicht verantwortlich für das Wahlverhalten anderer Parteien ist. Für uns ist eine klare Abgrenzung zu den Extremen Selbstverständlichkeit.“
Die Verantwortung Kemmerichs, sich überhaupt für diesen Wahlgang aufgestellt zu haben, wollen JU und JuLis nicht erkennen. In verschiedenen Medien wird Torben Braga, Mitglied des Thüringer Landtags für die AfD, als Vordenker dieses Schachzugs genannt. Braga hat auch in Marburg studiert und ist Mitglied der Naziburschenschaft Germania. Hier wird deutlich wie mindestens die Jugend von CDU und FDP in Marburg nach rechts schielen. Im Fall der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen wäre es für die Junge Union und die Jungen Liberalen Marburg denkbar gewesen, mit den ihnen zum Teil aus dem Marburger Waffenring persönlich bekannten Faschisten wie Torben Braga Mehrheiten zu organisieren. Dabei muss man sich fragen, wie ernst die Distanzierungen der Marburger CDU von den Studentenverbindungen der Marburger Naziburschenschaften gemeint sind. Der fließende Übergang zwischen rechtskonservativen und extrem rechten Einstellungen wird an den Verflechtungen der Studierendenverbindungen gut sichtbar.
Auch in der CDU finden sich verschiedene Vertreter, die ihre politische Sozialisation in der extrem rechten erfahren haben, zum Beispiel Daniel Kölsch (Geb. 17. Mai 1988) aus Alsfeld. Bereits in seiner Jugend bewegte er sich in der Neonaziszene des Vogelsbergkreis. Befreundet ist er aus dieser Zeit mit Personen wie Glenn Engelbrecht und Daniel Ott. Engelbrecht war Hauptakteuer der Kameradschaft Berserker Kirtorf, Bandmanager der Naziband „Gegenschlag“ und wird zu Thorsten Heises Kameradschaft „Arische Bruderschaft“ gezählt. Daniel Ott aus Lautertal gehörte Combat18 Deutschland an, die im Dezember 2019 durch das Innenministerium verboten wurde. Er wird auch mit einem Mordversuch an Frankfurter Linken im Jahr 2000 in Verbindung gebracht.
Daniel Kölsch kam während seiner Studienzeit bei der Marburger Naziburschenschaft Germania unter. Aus dieser Zeit ist er mit Alten Herren wie Marcel Grauf, Mitarbeiter der AfD in Baden Würtenberg und früheres NPD Mitglied, bekannt. Grauf erregte durch Chats, in denen er den Natinalsozialismus und Gewalt verherrlichte, Aufmerksamkeit. Daniel Kölsch ist ebenfalls mit dem Alten Herren der Marburger Naziburschenschaft Germania Robert Offermann bekannt, der Pressesprecher der Hamburger AfD ist. Kontakt pflegt Daniel Kölsch auch zum hessischen NPD Kader Daniel Lachmann. 2015 wurde Daniel Kölsch Beisitzer im Stadtverband der CDU in Alsfeld.
Distanz: Mangelhaft
Aber auch bei der Marburger Naziburschenschaft Rheinfranken findet sich mit Max Waldheim ein Mitglied der Jungen Union. Max Waldheim ist Spefux bei den Rheinfranken. Bereits 2018 posierte er mit einem Fuxenband, obwohl er damals noch nicht sein Abitur abgeschlossen hatte.
Der Bezug zur Naziburschenschaft Rheinfranken in Marburg liegt bei ihm in der Familie. Sein Vater Uwe Waldheim (Bild) ist Alter Herr der Rheinfranken. Sein Vater studierte auch wie seine Mutter Anja Waldheim in Marburg. Uwe Waldheim schloss sein Studium 1991 in Marburg ab und arbeitet als Filialleiter bei der Volksbank Haltern.
Max Waldheim ist bei der JU in Marl aktiv. Er taucht mindestens seit 2018 regelmäßig auf deren Veranstaltungen auf, z.B. am 3. Oktober 2018; außerdem besuchte er im Frühjahr 2019 mit der JU Marl den Bundestag und am 24. September 2019 beteiligte er sich an einer JU Veranstaltung in einem Irish Pub in Marl. 2019 schloss er wahrscheinlich sein Abitur ab und absolvierte 2020 seinen Wehrdienst. Für Antifaschist_innen bleibt es spannend, wann wir Max Waldheim in Marburg begrüßen dürfen.
Mit Blick auf die Kommunalwahlen am 14.März möchten wir noch darauf aufmerksam machen, dass mit Klaus-Jürgen Böckler (Listenplatz 44 für die Stadtverordnetenversammlung) ein Alt-Nazi und langgjähriger Vorsitzender der Fördergemeinschaft für Soldatenverbände (FfS) für die Marburger CDU kandidiert. 1997, bevor Böckler den Vorsitz übernahn, agierte die FfS gegen die Wehrmachtsausstellung 1997 in Marburg, in zwei ihrer Flugblättern wird antisemitisch-revisionistisch gehetzt:
„Mit dieser Ausstellung sollen nicht nur Millionen ehrenhafter Soldaten getroffen werden, sondern alle Soldaten, wichtige Institutionen sowie – wie immer – unser deutsches Volk“.
„Diese GEHIRNWÄSCHE läuft immer nach dem gleichen Ritual ab. Zuerst wird die Person, das deutsche Volk mit dem singularen Schuldkomplex infiziert; die Sühnekrankheit folgt auf dem Fuß. Der herbeigerufene Dr. Sibub [gemeint ist der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Ignatz Bubis] verschreibt als Gegenmittel die Wiedergutmachung durch Geldzahlungen. […] Nur Deutsche, die nicht infiziert wurden, die durch die Krankheit immunisiert wurden, sind fähig, die Gehirnwäsche bei ihren Mitmenschen abzubauen.“
Im Zuge des extrem rechtens Protestes gegen die Ausstellung kam es am 14. September 1997 zu einer Demo in der Biegenstraße, an der u.A. der Rechtsterrorist Manfred Roeder und Sigfried Borchardt alias „SS-Siggi“ teilnahmen. Am 9. August 2001, unter Böcklers Vorsitz, organisierte die FfS einen Vortrag mit Holocuastleugner Wolfgang Juchem, der aufgrund antifaschistischen Protests jedoch nicht stattgefunden hat. Die Marburger Jäger sind also nicht nur Agitationsort und Stütze für die AfD, auch die örtliche CDU profitiert von ihnen. Genauso wie die Marburger AfD durch Hermann Bolldorf, Johhannes Hühn und Matthias Pozzi von den Erfahrungen profitiert, die diese ehemaligen CDU’ler dort sammeln konnten.
Bei solchen Überschneidungen stellt sich die Frage, wie ernst gemeint die Abgrenzungen von Studentenverbindungen und der CDU nach Rechts sind. Auffällig ist, dass wenn diese Abgrenzung bei manch einzelnem Akteur vorhanden sein mag, diese im Gesamten nicht in Stein gemeißelt ist. Auch in Marburg wird kontinuierlich am gesellschaftlichen Tabu, dem Schulterschluss mit der extremen Rechten, gefeilt.
Dem kann nur ein entschlossener Antifaschismus entgegengehalten werden, der sich „gegen studentisches Brauchtum und studentische Traditionen im Allgemeinen“ richtet, da deren eigene Abgrenzungsbeteuerungen nach rechts mehr als mangelhaft sind.
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