Hessische Landesliste der AfD: Von Konzertausflügen mit Neonazis, Begeisterung für Faschisten und Applaus für Antisemiten

Bundestagswahlspezial zur AfD-Hessen

16.09.2017

In den letzten Monaten ist auf diesem Blog, sowie in der Folge auch in verschiedenen Medien* von den Verbindungen hessischer AfD-Kader und Bundestagskandidat*innen weit ins faschistische Milieu berichtet worden. Auch eine Anfrage im hessichen Landtag zog dies schon nach sich. In Anbetracht der äußerst dürftigen Konsequenzen im zivilgesellschaftlich-medialen Umgang mit der AfD und den ebenso zahlreichen wie fadenscheinigen Distanzierungen seitens der fraglichen Funktionäre, widmen wir uns in diesem Text nochmals dem völkischen Netzwerk der hessischen AfD, anhand ihrer Liste für die Bundestagswahl, besonders dem Vorsitzenden des Parteinachwuchses Jan Nolte (Listenplatz 4), sowie dem bisherigen Biedermann Julian Schmidt (Listenplatz 9).

Julian Schmidt, AfD-Bundestagskandidat für den Wahlkreis Marburg-Biedenkopf, zeichnete sich lange Zeit durch öffentliche Zurückhaltung aus, bis der Ex-Zeitsoldat sich mit einem offenen Brief an Verteidigungsministerin von der Leyen wandte. Dieser war gespickt mit geschichtsrevisionistischen Thesen, so reduziert er den NS-Volksstaat auf „eine Gruppe von Verbrechern“, nennt den „ganz große[n] Teil der Wehrmacht nicht Täter, sondern Opfer“ und fordert zudem diesen genauso zu Gedenken wie „allen anderen Opfern der Naziherrschaft“. In einem Antwortschreiben auf die Skandalisierung dieser Aussagen durch „Buzzfeed“ will er sich davon auch in keinster Weise distanzieren, der Inhalt des Briefes widerspräche „weder den Leitlinien meiner Partei noch sonstigen gesellschaftlichen Konventionen in Deutschland“. In Bezug auf die AfD stimmt diese Aussage natürlich und auch der bundesrepublikanische Erinnerungsdiskurs ist in Zeiten von Medienspektakeln wie „Unsere Mütter – unsere Väter“ erfüllt vom ganz eigenen Geschichtsrevisionismus der „wiedergutgewordenen Deutschen“ (Eike Geisel). Mit historischer Realität oder aktuellem Forschungsstand hat seine verquere Weltsicht jedoch nichts zu tun.

Schmidt ist trotz seines Images klar Träger von Versatzstücken äußerst rechter Ideologie. Weitergehende Recherchen haben desweiteren zu Tage gefördert, dass er auch Kontakt zu militanten Neonazis pflegt. Das folgende Foto zeigt Schmidt beim Besuch eines „Böhse Onkelz“-Konzerts am 21.November 2016 zusammen mit Torsten Debus (Bildmitte), welcher seinen (Facebook-)Freund sowie seine Frau auch auf dem Bild verlinkte.

(Im roten Kasten, v.l.n.r. Torsten Debus, Jessica & Julian Schmidt)

Dieser ist Antifaschist*innen seit langem als Nazischläger und Hooligan bekannt, auf dem nächsten Bild ist Debus bspw. auf einem Neonazikonzert, in einem Shirt der neonazistischen Band „Sleipnir“ zu sehen, Arm in Arm mit einem jüngeren Neonazi, laut dessen Shirt Anhänger von „Combat 18“, dem militanten Arm des in Deutschland verbotenen „Blood and Honour“-Netzwerks, verantwortlich für zahlreiche Terrorakte und Gewalttaten.

Die Bilder zeigen wie scheinheilig die Abgrenzugsversuche und das Bemühen um Seriösität sind, wenn gleichzeitig Umgang mit Hardcore-Neonazis gepflegt wird. Daneben wirkt seine andauernde Zusammenarbeit mit dem „Identitären“-Faschisten und Burschenschafter der Germania Marburg Nils Grunemann, im Rahmen der Jungen Alternative Marburg fast nebensächlich.

Auch beim aktiven Bundeswehrsoldaten Jan Nolte, Kandidat für Waldeck-Frankenberg lohnt eine erneute Betrachtung. Der umtriebige Chef der dortigen AfD-Kreistagsfraktion, sowie der hessischen Jungen Alternative, hatte bereits vor einigen Monaten mit Vorwürfen zu kämpfen, da Antifaschist*innen auf Noltes privater Facebookseite Likes einschlägiger Neonazimarken entdeckten und dies nebst seiner Vorliebe für allerlei Germanenkitsch publik machten. Dieser löschte die Gefällt-mir-Angaben und saß die Sache mittels Leugnung einfach aus.

Doch lange währte die Ruhe nicht, denn am 29.04.2017 fand der hessische Landeskongress der Jungen Alternative auf dem Haus der berüchtigten Burschenschaft Germania Marburg statt. Die Ereignisse des Tages erregten einiges an Aufmerksamkeit, nachdem es dort zu gewalttätigen Übergriffen auf Fotograph*innen kam – was diese prompt in ausführlichen Bilderserien festhielten.

(rot: Maximilian Kolb, JA-Landesvorstand, AfD-Schwalm Eder, sowie Sprecher der B!Germania,  orange: Philip Stein, Gründungsmitglied v. „Ein-Prozent“, Sprecher der B!Germania a.D. und europaweit in neofaschistische Kreise vernetzt)

Die Fotos von Max Kolb, Sprecher der B!Germania und Mitglied des Landesvorstands der JA, wie er vermummt unter anderem gemeinsam mit dem Jungverleger faschistischer Klassiker und B!Germania Sprecher a.d. Philip Stein auf die Journalist*innen losging, fand einigen Widerhall in hessischen, aber auch in überregionalen Medien, da Torben Braga (ebf. B!Germania und enger Berater Höckes) diesen mit dem Auto der thüringischen AfD-Fraktion direkt zum Ort des Geschehens brachte. Aber irgendwie schaffte Nolte auch dies auszusitzen, vor allem dank komplett untätiger Behörden und dem mäßigen Interesse der Öffentlichkeit. Stattdessen gelang es der AfD im Marburger Kreistag sogar eine eigene Resolution, gerichtet gegen linke Gewalt, zur Annahme zu bringen.

Und auch die jüngst erfolgte Anfrage im hessischen Landtag zu Verbindungen von extremer Rechter und AfD-Hessen war geriet zur Farce. Mit Blick auf die Vorfälle auf dem JA-Landeskongress hatte die SPD angefragt, die Antwort der CDU bestand jedoch lediglich daraus das zu bestätigen, was die auf diesem Blog veröffentlichten Fotos ohnehin belegten – wenigernoch, über die hier komplett durchanalysierten strukturellen und politischen Verbindungen von völkischer Verbindungsszene, AfD uvm. sollte gar nichts gesagt werden um die Arbeit des Verfassungsschutzes nicht zu gefährden. Desweiteren deklarierte sie die „personellen Überschneidungen“ sogleich als Einzefälle und auch von einer Beobachtung der JA-Hessen oder B!Germania Marburg durch den Verfassungsschutz wollte der Staatssekretär d. Inneren Koch nicht reden.

Letzteres wurde von Nolte anscheined sogleich aufgenommen. Auch er wurde von „Buzzfeed“ mit seinen Verbindungen ins völkisch-faschistische Milieu konfrontiert, offenbar besonders mit den Ereignissen des Landeskongress. In seiner Antwortmail weist er dann auch jegliche Verantwortung von sich. So sei der in diesem Rahmen dokumentierte Handschlag mit dem „Blood and Honour“-nahen Neonazis und Burschen der Marburger Rheinfranken Lars Roth rein zufällig zustandegekommen, auch wenn er sich nicht ausdrücklich von diesem distanziert. Für die Germania hat er jedoch klare Worte, denn „Was die Burschenschaft Germania angeht, so ist für uns nicht die Einschätzung von Linksextremen maßgeblich, sondern die des Verfassungsschutzes“ und für diesen scheinen extrem rechte Bestrebungen seit jeher irrelevant zu sein, insoweit sie von der Verbindungsszene ausgehen.

Besonders bemerkenswert finden wir aber seine Behauptung, die JA-Hessen arbeitete nicht mit der faschistischen „Identitären Bewegung“ zusammen und sein Landesverband sei sogar der erste gewesen der einen Unvereinbarkeitsbeschluss verabschiedet habe. Und das ist nun einfach gelogen. Zwar gibt es diesen Beschluss tatsächlich, aber irrelevanter könnte er kaum sein. So gibt es zum einen diverse personelle Überschneidungen auf unterschiedlichen Ebenen. So abermals die Germania Marburg, die offenbar den größten Teil der „IB-Marburg“ stellt, fand doch das Gründungstreffen, wie auch die Vorbereitung der ersten Aktionen auf dem Verbindungshaus statt. Der Germane und stellvertretende JA-Marburg Sprecher Nils Grunemann wurde sogar zum „Obmann der Identiären Bewegung Deutschland“ gewählt. Noltes AfD-Kollege Andreas Lichert bot der IB schon in seiner Projektwerkstatt in Karben reichlich Raum und fungierte jüngst als Bevollmächtigter beim Kauf eines Hauses für den halleschen und bundesweit wohl bekanntesten Ableger der IB, „Kontra Kultur“.

Aber eigentlich ist ein Blick auf Nolte selbst am besten geeignet um die Fadenscheinigkeit seiner Behauptungen zu erkennen. So gefällt ihm die Facebookseite „Radical Esthétique“ –  ein Ableger der identitären Bekleidungsmarke „Phalanx Europa“, scheinbar in Zusammenarbeit mit Philip Steins „Jungeuropa-Verlag“.

Während dort Klassiker faschistischer Literatur neu verlegt werden, bietet  „Radical Esthétique“ die Mode und Lifestyle dazu. So posten sie betont lässige Bilder die sich immer wieder Faschisten und ihren Organisationen widmen – Jogginghose, Kippe und Capitan Codreanu, wohl bedeutendster rumänischer Faschist des 20. Jhd, so sieht für die Seitenbetreiber (und anscheinend auf Jan Nolte) ein entspannter Sonntag aus.

Oder es werden eigene Motive entworfen wie hier ein Portrait von José Moscardó Ituarte, General des faschistischen Spaniens:

(Der Post ist eine Anspielung auf den Klassiker faschistischer Literatur „Die Kadetten des Alcazar“ von Robert Brasillach, Nazikollaborateur und Antisemit – neuverlegt von Philip Stein aka „Jungeuropa“)

Ihr Selbstverständnis ist eine Ansammlung heroisch-pathetischer Phrasen, gipfelnd in einem Verweis auf ihr Ziel – die (nationale) Revolution:

„Die Loyalität, die Ehre und der Mut des letzten Mannes, der ihn bis zum Tod kämpfen lässt. […]

Die Hoffnung, die zur Revolution wird! „

Das es sich hier um ein dezidiert faschistisches Projekt handelt wird auch unter anderen durch diesem Post auf ihrem Instagram-Account deutlich:

Ist das Liktorenbündel für sich genommen schon historisches Symbol (nicht nur) der italienischen Faschisten, klärt spätestens der Hashtag #fascime (dt. Faschismus) auf.

Interessantester Post war aber wohl gleichzeitig das einzige Motiv das es bisher auf ein reales T-Shirt geschafft hat und zwar diese „Eisenfaust“, die auch Jan Nolte gefällt (sowie den Burschenschaftern Moritz Guth, Germania und Bastian Löhr Rheinfranken Marburg):

Und diese Faust hat es in sich. Die „Eiserne Faust“ war eine informelle Vereinigung völkisch-nationalistischer Reichswehroffiziere, in denen besonders viele ehemalige Freikorpskämpfer organisiert waren. Sie existierte von 1919-1934 und war klar völkisch ausgerichtet. Sie war zwar faschistisch und antisemitisch ausgerichtet, jedoch nicht dezidiert nationalsozialistisch. Sie war ein völkisches Netzwerk, in dem sich im Sinne extrem rechter Politik ausgetauscht und vernetzt wurde. Historische Bedeutung erlangte sie mit der Einführung Hitlers durch Ernst Röhm, womit dieser wichtige Kontakte zur Reichswehr erhielt.

Seine Gefällt-mir-Angaben für diese Seite im Allgemeinen und die „Eisenfaust“ im besonderen sprechen auf jeden Fall Bände über die Gesinnung Noltes. Die Vereinigung war prägend für die frühe Bewegungsphase der deutschen Faschisten. Aufgrund ihres völkischen Netzwerkcharakters und dem Anspruch eine Bewegung zu formen kommt man nicht umhin sich an die hessische AfD, sowie ihr Netzwerk von, Identitären, Burschenschaften und dem Institut für Staatspolitik erinnert zu fühlen (sowie dem Soldaten Nolte und Ex-Soldaten Schmidt). Insbesondere die faschistische, aber nicht dezidiert nationalsozialistische Ausrichtung machen sie als radikalen aber nicht völlig verbrannten Bezugspunkt attraktiv.

Eine Bühne für Antisemitismus

Die von seiner Kreistagsfraktion Waldeck-Frankenberg organisierte Wahlkampfveranstaltung passt dazu auch bestens ins Bild. Als Redner*innen waren neben den Direktkandidat*innen Christine Anderson (Pegida-FFM), Andreas Lichert (Institut für Staatspolitik) und Jan Nolte selbst, der Chefredakteur des antisemitschen Hetzblatts „Compact“, Jürgen Elsässer geladen.

(Bundestagskandidat Nolte war sichtlich angetan von den Worten Elsässers)

In der Fragerunde warnte er dann codiert in Form der jüdischen Familien Rothschild und Soros vor den Machenschaften „der Juden“ benannte allein das Befassen mit diesen, wie im Rahmen seines verschwörungstheoretischen Magazins als „gefährlich“ und bezeichnete sie als „heißes Eisen“. Gemäß seiner sogar gerichtsfest erprobten Taktik verdichtete er jüdische oder jüdisch klingende Namen, antikapitalistische Ressentiments gegen die Banken oder Währungspolitik, gegen „die da oben“ und sogar den Parlamentarismus als solchen zu einem Gesamtbild, dass auch ohne konkrete Nennung bei seinen Hörer*innen das Bild des manipulierenden, allmächtigen „Finanzjudentums“ entstehen lässt. Damit haben Nolte und seine AfD Waldeck-Frankenberg gezeigt, dass die AfD-Hessen nicht nur mit Martin Hohmann (Fulda, Platz 6) dem Antisemitismus und seiner geopolitischen Reproduktion als Antizionismus wieder Raum gewähren!

Die obigen Fundstücke zeigen erneut: menschenfeindliche Tendenzen in der AfD-Hessen sind hochaktuell, kein Einzelfälle und ziehen sich bis in höchste Kreise. Dazu hat die AfD-Hessen gezeigt, dass ihre völkisch-faschistische Ideologie durchaus auch in realen Gewalttaten mündet – mit Parteifunktionären mittendrin ohne das für diese oder ihre Partei irgendwelche Konsequenzen drohen würden! Wer AfD wählt kriegt zwar nicht unbedingt Neonazis, Faschist*innen aber in jedem Falle!


*Zuletzt ließ das Medienportal Buzzfeed verlautbaren, sie hätten alle 396 AfD-Bundestagskandidaten „durchleuchtet“ und seien dabei auf etwa 50 Personen gestoßen, die sich nicht von extrem Rechten abgrenzen oder selbst zu diesen zählen würden.

Wenngleich wir die Berichterstattung, vor allem im Hinblick auf ihre breite Rezeption in etablierten Medien begrüßen, sehen wir uns doch genötigt auch deutliche Kritik zu üben.

So stammt der größte Teil der Informationen offensichtlich aus antifaschistischen Recherchestrukturen, oder vorangegangen Berichten engagierter Journalist*innen. Dass diese Quellen nicht mitangegeben werden ist natürlich zunächstmal ärgerlich für eben diese, da so mögliche Aufmerksamkeit und wertschätzende Einordnung der Arbeit dieser Strukturen und Gruppen entfällt, was mit Blick auf das „linksunten.indymedia“-Verbot besonders schmerzt. In diesem Fall ist es zudem gefährlich, da das simple Googeln und Abschreiben von Facebookprofilen und Antifa-Recherche sicherlich kein „Durchleuchten“ einer Person darstellt. Verglichen mit der zumeist punktuell betriebenen Berichterstattung, die völkisch-nationalistische Tendenzen immer wieder als Einzelfälle durchgehen lassen, ist dies zwar ein Fortschritt, es wurde jedoch überhaupt nicht reflektiert, dass extrem rechte Propaganda in öffentlich einsehbaren Facebookprofilen lediglich die Spitze des Eisbergs ist. Mit dem Anspruch fast 400 Kandidat*innen „analysiert“ zu haben und nur bei 50 fündig geworden zu sein, werden somit fast 350 Kandidat*innen und somit der Großteil der AfD-Listen von völkischen, antisemitischen und faschistischen Tendenzen freigesprochen. Wie wir finden, ein schwerwiegender Fehler.

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