„Eine feste Burg ist mein Gott“ – Fulda als Hochburg des katholischen Traditionalismus

05.09.2019

Auch im säkularen Deutschland gibt es noch immer Gebiete in denen sich eine christliche Rechte Fortschritt und Emanzipation entgegen stellt. Hier ist für Hessen sicherlich Fulda als Hochburg des katholischen Traditionalismus zu nennen. Anders als im Rechtsextremismus sind im Rechtsklerikalismus die Bibel und Aussagen religiöser Autoritäten die Quellen für ein gesellschaftliches Programm, was je nach Interpretation konservativ-reaktionär bis fundamentalistisch sein kann. Die Spannweite reicht dabei von der Ablehnung einzelner gesellschaftlicher Modernisierungen (wie dem Abbruch von Schwangerschaften) bei genereller Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie, über den Wunsch nach dem Christentum als Staatsreligion, bis hin zum Anstreben eines christlichen Gottesstaat.

Obwohl es zu vielfältigen Kooperationen und Überschneidungen zwischen der extremen und der christlichen Rechten kommt, muss letztere doch als eigenständiges Phänomen mit eigener Agenda analysiert werden.

Der Traditionalismus, die katholische Spielart der christlichen Rechten, beruft sich nicht nur auf die Bibel, sondern auch auf das katholische Papsttum und hier besonders auf dessen antimodernistischen Vertreter. Mit dem aktuellen Papst ist man trotz dessen Positionen gegen Gender und Schwangerschaftsabbrüche unzufrieden, weil er in anderen Bereichen tendenziell eher liberale Haltungen vertritt.

Für den katholischen Traditionalismus heißt das, dass er sich nicht nur einer säkularen Gesellschaft gegenüber sieht, sondern auch in der eigenen Kirche um Macht und Einfluss kämpft. Die Konzepte der Rechtsklerikalen sind aber ohnehin langfristig angelegt.

Es geht darum, den eigenen AnhängerInnen Rückhalt zu bieten, die Kirche auf den rechten Weg zurück zu führen und die Gesellschaft im eigenen Sinne zu rechristianisieren.

Die katholische Hierarchie in Fulda

Zum langfristig angelegten Kampf für die Rechristianisierung und den damit verbundenen Kulturkampf wurden auch in der katholischen Hochburg Fulda diverse Organisationen geschaffen. Diese sind im wohlwollenden Schatten der lokalen Kirchenstrukturen aktiv. Hier gab es, anders als in anderen Bistümern, immer auch eine sympathisierende Hierarchie innerhalb der Kirche. Ein Blick auf die Bischöfe in Fulda zeigt, dass hier offenbar eine Traditionslinie von reaktionären Bischöfen besteht.

Als „Löwe von Fulda“ galt Johannes Dyba (1929-2000), der 1983-2000 katholischer Bischof von Fulda war. Zusätzlich war er auch noch 1990 bis 2000 Militärbischof in der Bundeswehr. Wie bei vielen katholischen Bischöfen, so war auch Dyba „Alter Herr“ einer Studentenverbindung im katholischen Dachverband Cartellverband (CV). Konkret ist er Mitglied der KDStV Fredericia zu Bamberg und der KDStV Arminia zu Heidelberg. Zusätzlich war er auch noch Mitglied des rechtskatholischen „Ritterordens vom Heiligen Grab von Jerusalem“.

Gesellschaftspolitisch war Dyba ein Gegner der Homo-Ehe. Er bezeichnete „Homosexualität als eine Degeneration“ und den für eine straffreie Abtreibung nach dem Gesetz benötigten Beratungsschein als „Lizenz zum Töten“.

Dybas Nachfolger als Bischof von Fulda ist seit Juni 2001 Heinz Josef Algermissen (* 1943). Auch er ist ein „Alter Herr“, konkret von drei katholischen Studentenverbindungen: Der KDStV Guestfalo-Silesia zu Paderborn, der KDStV Wildenstein zu Freiburg im Breisgau und der KDStV Adolphiana Fulda.

Algermissen verurteilte im Eröffnungsgottesdienst des rechtskatholischen Kongresses „Freude am Glauben“ 2015 in Fulda Gender-Mainstreaming als eine Ideologie, „welche der Wirklichkeit und der Integrität der menschlichen Natur völlig entgegenstehe“.

Auch in der Hierarchie unterhalb des Bischofs finden und fanden sich in Fulda Vertreter des katholischen Traditionalismus. Etwa der Theologe Aloysius Winter (1931-2012). Er war als Seelsorger für die italienischen Gemeinden in Kassel, Hanau und Fulda tätig, Subsidiar am Fuldaer Dom und von 1994 bis zu seiner Emeritierung in 2000 Rektor der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Fulda. Seit 2000 war er zudem ein Kuratoriumsmitglied des rechtskatholischen „Forums Deutscher Katholiken“.

Winter sprach sich nach dem Rauswurf Martin Hohmanns aus der CDU auch für die Kandidatur Hohmanns aus, kann somit als dessen Unterstützer gelten.

Der Rechtskatholik in der AfD: Martin Hohmann

Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann aus Neuhof bei Fulda, der seit 2017 für die AfD im Bundestag sitzt, ist ein anschauliches Beispiel für einen rechten Katholiken.

Sein Rechtskatholizismus wird in einer Pressemitteilung Hohmanns vom 8. Juni 2005 noch einmal sehr deutlich, die eine Reaktion auf die Kritik Angela Merkels an Papst Benedikt XVI darstellte: „Der Papst ist nicht dazu da, sich beim Zeitgeist einzuschmeicheln, sondern ewige Wahrheiten unbeirrt zu verkünden. Ich bin Papst Benedikt XVI. für seine klare Ansage dankbar. Er stellt das heraus, was die Heilige Schrift und die 2000-jährige Lehre der Kirche als Wahrheit festhalten. Wenn der Katechismus der Katholischen Kirche praktizierte Homosexualität als ‚schlimme Abirrung’ bezeichnet, dann kann niemand vom Papst eine abweichende Haltung erwarten. Es ist nicht der Papst, der die Homosexuellen beleidigt, wenn er gleichgeschlechtliche Ehen ‚Pseudo-Ehen’ nennt; es sind organisierte Homosexuelle, die mit dem Irrsinn der ‚Homo-Ehe’ die Schöpfungsordnung beleidigen, die man auch als biologische Vernunft bezeichnen kann. Angesichts der sich immer deutlicher abzeichnenden demographischen Katastrophe ist jede Stellungnahme und insbesondere jedes Papstwort zur Stärkung der Familie Gold wert.“

Auch in der Union, die er 2004 trotz einer breiten innerparteilichen Solidaritäts-Kampagne verlassen musste, galt er als rechts außen stehend. Immerhin wurde Hohmann als Nachfolger des berüchtigten CDU-Stahlhelmers Alfred Dreggers im Wahlkreis Fulda 1998 für die CDU in den Deutschen Bundestag gewählt.

Die CDU verlassen musste er, nach dem eine Rede Hohmanns zum 3. Oktober 2003 von den Medien kritisiert und skandalisiert wurde. Darin versuchte er über antisemitische Analogien die Deutschen als „Tätervolk“ freizusprechen, indem er sie mit jüdischstämmigen Bolschewisten in der Sowjetunion verglich.

Nach einer erfolglosen unabhängigen Kandidatur wandte sich Hohmann 2016 der AfD zu. Bis dahin trieb er sich in der extremen Rechten herum. So war er etwa Gründungsmitglied der erfolglosen rechten Vereinigung „Stimme der Mehrheit“ oder Unterzeichner des „Manifest der Deutschen 2008“, indem vor einem Aussterben der Deutschen gewarnt wird. Außerdem war er Ehrenmitglied der erfolglosen Wählervereinigung „Arbeit, Familie, Vaterland“ des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche aus Sachsen.

Nach diesen erfolglosen Versuchen wandte sich Hohmann der AfD zu, für die er nun im Bundestag sitzt.

Rechtskatholische LebensschützerInnen

Als „Lebensschützer“ bezeichnen sich selbst zumeist christlich motivierte AbtreibungsgegnerInnen. Zu diesen gehört der „Aktionskreis Fulda in der Aktion Leben e.V.“ mit Sitz in Neuhof, der selbst angab „über 1.000 Mitglieder“ zu haben.

Der vertretungsberechtigte Vorstand besteht aus dem 1. Vorsitzenden Walter Ramm, dem stellvertretenden Vorsitzenden Karl-Heinz Scheller, dem Kassenwart Reiner Bergold und den BeisitzerInnen Doris Laudenbach, Otto Spahn und Hartmut Kullmann.

Überschneidungen bestehen zum Verein „Vaterhaus e. V.“ mit Sitz in Fulda. Im Vorstand des Vereins findet sich neben Martin Haubs und Maria Hohmann auch Otto Spahn, der Beisitzer im Aktionskreis ist.

Zu den ‚LebensschützerInnen‘ gehört auch die Oberstudienrätin Cornelia Kaminski aus Fulda. Sie ist stellvertretende Bundesvorsitzende der bundesweit aktiven „Aktion Lebensrecht für Alle“ (ALfA). Ihre Tochter Fabiola Kaminski ist dagegen aktiv bei „Jugend für das Leben“ und der „Jungen Union“ in Fulda.

Stellvertretender Vorsitzender des ALfA-Regionalverband Fulda ist Martin Haubs, der auch Vorsitzender von „Vaterhaus e.V.“ ist.

Rechtskatholischer Veranstaltungsort

Auch ALfA und der Verein „Ärzte für das Leben“ treffen sich immer wieder in Fulda. So fand die ALfA- Bundesdelegiertenversammlung vom 17. bis zum 19. Mai 2019 in Fulda statt.

In diesem Zusammenhang sprach Professor Dr. med. Paul Cullen, Vorsitzender der „Ärzte für das Leben“, auf Einladung der „Christdemokraten für das Leben“ (CDL) in der CDU und der ALfA im VHS-Forum im Kanzler-Palais in Fulda 17. Mai 2019 vor knapp 200 Zuhörern und Zuhörerinnen.

Seit mehreren Jahren findet im Juni oder August in Fulda auch die von „Europrolife“ mit Sitz in München organisierte Antiabtreibungs-Demonstration „1000 Kreuze für das Leben“ statt. An ihr nehmen bis zu 200 Personen teil.

Bis 2018 fand im Kongresszentrum Esperanto in Fulda der Kongress „Freude am Glauben“ des „Forum Deutscher Katholiken” statt. Zu dem wohl wichtigsten rechtskatholischen Event in Deutschland kommen immer mehrere hundert Personen. Die ReferentInnen-Listen lesen sich dabei wie ein Who is who des rechten Katholizismus. Man darf davon ausgehen, dass Antifeminismus und Homophobie hier common sense gewesen sind.

Am 13. Oktober 2018 fand zudem im Kloster Frauenberg in Fulda das „Christliche Forum“ zum Thema „Erneuerung Europas aus dem Geist des Christentums“ mit Michael Ragg, Dr. Vishal Mangalwadi, Dr. Gudrun Kugler (ÖVP-Nationalrätin), Birgit Kelle, Alexandra Maria Linder, Prof. Dr. Werner Münch (Ministerpräsident und Europaabgeordneter a.D.) und Ortwin Schweitzer statt. Die Moderation übernahmen Alexandra Maria Linder, Michael Ragg, Karin Heepen, Mathias Scheuschner und Dieter Burr.

Die Piusbruderschaft

Die Piusbruderschaft hatte sich zeitweise von der katholischen Kirche abgespalten. Ihr gingen die moderaten Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils zu weit. Aber unter Papst Benedikt XVI wurde sie wieder in die katholische Kirche integriert, obwohl einer ihrer vier Bischöfe, Bischof Williamson, ein offener Holocaustleugner war.

Williamsons offene Holocaustlugnung darf aber nicht wirklich verwundern, denn die Piusbruderschaft ist insgesamt eine antisemitische Organisation. Ihr Antisemitismus ist dabei aber zumeist nicht die moderne Variante, sondern vielmehr die mittelalterliche. So schrieb der deutsche Distriktobere, Pater Franz Schmidberger 2008: „Damit sind aber die Juden unserer Tage nicht nur nicht unsere älteren Brüder im Glauben. Sie sind vielmehr des Gottesmordes mitschuldig. Solange sie sich nicht durch das Bekenntnis der Gottheit Christi und die Taufe von der Schuld ihrer Vorväter distanzieren.“

Alljährlich findet seit 2004 die Nationalwallfahrt des deutschen Distrikts der Priesterbruderschaft St. Pius X in Fulda mitsamt einer „Deutschlandweihe“ statt.

Dieser Aufmarsch soll an ‚gute‘ alte Zeiten anknüpfen. Im September 1954 fand schon einmal in Fulda eine „Deutschlandweihe“ statt. Damals versammelten sich nicht ein paar Hundert, sondern 100.000 KatholikInnen vor dem Dom des ‚heiligen‘ Bonifatius.

Auch dieses Jahr heißt es bei der Piusbruderschaft wieder „KOMMEN SIE NACH FULDA – Aus Liebe zu unseren Kindern! – Aus Liebe zu Vaterland und Kirche!“.

Die diesjährige Fulda-Wallfahrt zeigt auch noch einmal die Verflechtungen der extremen Rechten mit der Piusbruderschaft. Die zuständige Kontaktperson für die Anmeldungen für die Piusbruderschaft-Jugendorganisation „Katholische Jugendbewegung“ (KJB) zur Wallfahrt ist Moritz Scholtysik aus Aschaffenburg. Er war ein Aktivist der extrem rechten „Identitären Bewegung“ und nahm am 11. Juni 2016 in Wien an einer Demonstration der IB teil, bei der er ein blaues T-Shirt der IB-Bayern trug. Gleichzeitig war er von 2016 bis Mai 2019 Vorsitzender der KJB.

Rechtskatholische Medien

In der Region Fulda finden sich auch rechtskatholische Medien wie etwa das Internetfernsehens „bonifatius.tv“ mit Sitz in der Goerlder Str. 15 in Fulda. In Fulda befindet sich die Grabstätte des heiligen Bonifatius, der in der katholischen Kirche als Apostel Deutschlands gilt.

Träger von „www.bonifatius.tv“ ist der beim Registergericht Fulda eingetragene Verein. Verantwortlich ist laut Impressum ein Norbert Hohmann aus Spahl.

Der Online-TV-Sender strahlt Sendungen mit Inhalten aus, die sich an ein rechtskatholisches Publikum richten. In der Reihe „Glaubenskompass“ der „Kirche in Not“ bei „bonifatius.tv“ kommt beispielsweise die katholische Antifeministin Gabriele zu Wort und schwadroniert über einen angeblichen „Homototalitarismus“.

Fazit: Hochburg des Rechtskatholizismus

Der Rechtskatholizismus in Fulda wird bisher nur selten thematisiert. Dabei ist sein virulenter Antifeminismus und seine Homophobie kein Thema, was eine antifaschistische und feministische Linke ignorieren darf. Keinesfalls stehen religiös-reaktionäre Polit-Positionen unter Religionsfreiheit.

Zum Problem mit extremen Rechten in Fulda scheinen dabei mehrere Verbindungen zu bestehen. Einmal über personelle Überschneidungen, wie die Personalie Martin Hohmann verdeutlicht. Zum anderen könnte die generelle katholisch-konservative Prägung von Stadt und Region auch für ein Kleinhalten antifaschistischer Abwehrkräfte gesorgt haben. Diese können sich weniger gut entfalten, wenn ihnen die lokale Stadt-Gesellschaft ablehnend bis feindlich gegenüber steht.

Hier gilt es also, dicke Bretter zu bohren und immer wieder zu thematisieren, was die lokale Stadt-Gesellschaft gerne ignoriert, toleriert und dadurch mit trägt. Andererseits müssen vor Ort eigene antifaschistische und feministische Alternativen unterstützt werden.